Kolonisierung von Moor und Heide auf der Schleswigschen Geest

In den Jahren 1761 bis 1765

Eine kurze Darstellung von

Hans Peter Stamp

1 Kolonisierung von Heide und Mooren? *

1.1 Sonderbare Ortsnamen und hochdeutsche Familiennamen *

1.2 Arbeitsgemeinschaft Heide- und Moorkolonisation *

2 Enthüllung des Gedenksteins in Friedrichsfeld *

2.1 Am 4. September 2004 in Friedrichsfeld *

2.2 Wie war es zu dieser Aktion gekommen? *

2.3 Was hatte man ihnen versprochen? *

2.4 Nur jede fünfte Familie blieb hier *

2.5 Warum liefen so viele wieder weg? *

2.6 Vereidigung auf dem Gottorfer Schlosshof *

2.7 Wer wegzog, war ein Deserteur *

2.8 Eine Familie von vielen *

2.9 Es begann Am Königswege *

2.10 In der neuen Heimat nicht gern gesehen *

2.11 Namen der Dörfer klangen nach dem Königshaus *

2.12 Ein gewaltiges Werk der Integration *

3 Hatten sie als Bauern eine Chance? *

3.1 Hätte man es mit dem heutigen Wissen überhaupt gewagt? *

3.2 Die Erträge sanken von Jahr zu Jahr *

3.3 Man gab ihnen die schlechtesten Böden *

3.4 Moorboden hat viele Nachteile: *

3.4.1 Benetzbarkeit geht verloren *

3.4.2 Moorerde oxydiert an der Luft *

3.4.3 Moorerde hat eine verringerte Wärmeleitfähigkeit *

3.4.4 Bodenleben und Belüftung *

3.4.5 Mangelnde Befahr- und Begehbarkeit *

3.4.6 Bodenzone zu flach *

3.4.7 PH-Wert *

3.4.8 Mischkultur? *

3.5 Ein bodenkundlicher Exkurs *

3.5.1 Der Nachteil grober Bodenpartikel bei Sandböden *

3.5.2 Mit Humus kann man einiges ausbügeln, aber...? *

3.6 Raubbau der Einheimischen? *

3.7 Das Unternehmen scheiterte *

3.8 Vom Schneider bis zum Theologiestudenten *

3.9 Nur auf Ackerbau gesetzt, zu wenig Vieh *

3.9.1 Zwei Ochsen, eine Kuh und zwei Schafe *

3.9.2 Keine Schweine *

3.10 Am Ende ging es dann irgendwie doch *

3.10.1 Nebenerwerb war ihnen verboten *

3.10.2 Die Kartoffel machte es möglich *

3.10.3 Und die Öffnung anderer Erwerbsmöglichkeiten... *

4 Auch das Knicknetz geht auf die Kolonisierung zurück *

4.1 Die Knicklandschaft nahm bei der Kolonisierung ihren Anfang *

4.2 Besonderheit: Der Teebuschknick *

 

 

  1. Kolonisierung von Heide und Mooren?
    1. Sonderbare Ortsnamen und hochdeutsche Familiennamen
    2. Einem in Nordfriesland weilenden Urlauber aus Süddeutschland kam es in Bredstedt heimatlich vor, als er im dortigen Gewerbegebiet den in seinem Heimatdorf geläufigen Namen Andritter als Firmennamen sah. So aufmerksam wie er sind nicht alle, und oft sind es am wenigsten diejenigen, die hier im Landesteil Schleswig selbst geboren und aufgewachsen sind. Sie haben sich daran wie selbstverständlich gewöhnt, dass es hier "alteingesessene" Familien mit hochdeutschen Namen wie Schwerdt, Freundt, Mauderer, Gassmann usw. gibt.

      Und auch die Konzentration in bestimmten Gegenden von Teilen von Ortsnamen mit "Friedrich", "Christian", "König", "Prinz" usw. fällt ihnen nicht mehr auf. Werden sie dann doch neugierig, stoßen sie auf die Kolonisierung der Schleswigschen Geest in den Jahren 1761 bis 1765 durch überwiegend süddeutsche Kolonisten.

    3. Arbeitsgemeinschaft Heide- und Moorkolonisation

    Bei dem Heimatverein Schleswigsche Geest gibt es seit einigen Jahren eine Arbeitsgemeinschaft Heide- und Moorkolonisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat das Kolonisierungswerk aus dem 18. Jahrhundert bekannt zu machen und seine Bedeutung für die landesgeschichtliche sowie bevölkerungsgeschichtliche Entwicklung herauszuarbeiten. Eine der Maßnahmen zur Verwirklichung dieses Ziels war die Errichtung eines Gedenksteins in Friedrichsfeld am 4. September 2004. Die hier vorliegende Schrift will darüber berichten und als Ergänzung zu dem umfassenden 900seitigen Werk von Otto Clausen eine kurze schneller überschaubare Darstellung geben. Die Bedeutung des Werkes von Clausen wird dadurch unterstrichen, dass die meisten Fußnoten dieser kleinen Schrift sich auf Clausen beziehen.

  2. Enthüllung des Gedenksteins in Friedrichsfeld
    1. Am 4. September 2004 in Friedrichsfeld
    2. "Wir haben heute Mittag einen Gedenkstein enthüllt, der an die Zeit der Kolonisierung der Schleswigschen Geest erinnert. Ein ähnlicher Gedenkstein , auf dem aber keine Namen eingraviert sind, wurde vor einigen Jahren bereits in Friedrichsau aufgestellt. Dort ging es um die Erinnerung an das Eintreffen der ersten Kolonisten im Jahre 1761 in Schleswig. Sie waren damals die ersten, die am 28. Januar 1761 aus ihrer Heimat in Neu-Loosheim bei Speyer aufgebrochen waren. Sie trafen am 27. März 1761 in Schleswig ein. Sie waren also insgesamt 58 Tage unterwegs gewesen. Vermutlich ist darin ein längerer Aufenthalt in Altona enthalten, denn die späteren Trecks schafften die Strecke von rund 550 km (Frankfurt bis Altona) in 18 bis 21 Tagen. Man schaffte also 25 bis 30 km pro Tag. Diese ersten Kolonisten kamen später größtenteils in die Kolonie Friedrichsau bei Jübek am Gammelunder See. Es waren 12 Männer, 16 Frauen, 21 Kinder und ein Knecht. Sie hatten vier Planwagen und einen offenen Frachtkarren. In Friedrichsau geht es also um die Erinnerung an den Beginn des Kolonisierungswerkes".

      Mit diesen Worten begann der Schleswiger Landrat Jörg-Dietrich Kamischke seine Festansprache bei der Enthüllung des Gedenksteins in Friedrichsfeld. In der Ansprache erfuhren wir weitere Einzelheiten, die mit seiner freundlichen Erlaubnis in den nachfolgenden Text eingegangen sind, ohne jeweils durch Quellenangabe belegt zu sein:

      Bei dem in Friedrichsfeld enthüllten Gedenkstein ging es um ganz bestimmte Kolonistenfamilien. Auf dem Stein sind Namen eingraviert. Dies sind die Namen von Familien, die in den Jahren 1761 bis 1764 Kolonisten wurden und auf ihren neuen Höfen durchgehalten haben. Es sind Familien, von denen heute noch Nachkommen existieren. Und diese Nachkommen kamen in Friedrichsfeld zusammen, um der Leistung ihrer Vorfahren zu gedenken.

      Der Landrat bezeichnete es als ein ganz besonderes Erlebnis den Festakt mit den Nachkommen der Kolonisten begehen zu können. Er dankte allen dafür, dass sie die Einrichtung des Gedenksteins ermöglicht hatten. Und dem Heimatverein Schleswigsche Geest dankte er dafür, dass er die Sache organisatorisch ermöglicht hatte. Dabei gilt ein ganz besonderer Dank Herrn Christian Winkel und seinen Helfern, die in akribischer Arbeit Daten zusammen getragen hatten. Sie haben es für die meisten hier anwesenden Festteilnehmer ermöglicht, den Nachweis über die Abstammung von den Kolonisten aus der Zeit von vor über 240 Jahren zu führen.

      In dem Zusammenhang sei es für ihn unerlässlich und eine besondere Verpflichtung und Freude zugleich, ein Wort über Otto Clausen zu sagen. Ohne Otto Clausen, der nicht mehr unter uns ist, wäre dies alles wohl gar nicht in Gang gekommen. Seine Forschungen haben den Grundstein dafür gelegt, dass wir heute über diese Dinge wissen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wussten nur einzelne Personen, dass es überhaupt im 18. Jahrhundert hier ein Kolonisierungswerk gegeben hat. Kaum jemand wusste, dass auf der Schleswigschen Geest und anderswo in Schleswig-Holstein Menschen in großer Zahl leben, die Nachkommen dieser Kolonisten sind. Ohne Clausens gewaltiges Werk würden uns heute schlicht viele der Fakten fehlen, die wir zur Bewertung des Kolonisierungswerkes benötigen. Die hier vorgelegte kleine Schrift ist der Versuch, eine schnell lesbare Schrift für diejenigen zu schaffen, die vor den 900 Seiten Clausens müde werden.

      Alle, die in Friedrichsfeld zusammen gekommen sind, verbindet ein nicht geringer Stolz im Hinblick auf diese Abstammung. Bei Clausen haben wir gelesen, dass es insgesamt ungefähr 1.000 Familien waren, die für 600 Höfe angeworben wurden. Rechnerisch waren es 400 Familien zuviel. Aber es gab so genannte Reservekolonisten, die dann einsprangen, wenn ein Hof verlassen wurde. Die meisten dieser 1.000 Familien stammten aus Süddeutschland. In der Literatur finden sich auch hier und da Hinweise auf einen Plan, 4000 Familien anzusiedeln. Das Waren in der Tat anfängliche Vorstellungen, die aber große Teile Holsteins mit einbezogen und nicht zur Verwirklichung kamen.

    3. Wie war es zu dieser Aktion gekommen?
    4. Unsere Gedanken gehen zur Beantwortung dieser Frage zurück in die Zeit des 7-jährigen Krieges, der von 1756 bis 1763 stattgefunden hat. Auch schon vor diesem Krieg gab es in Süddeutschland einen beachtlichen Bevölkerungsüberschuss. Gut 100 Jahre nach dem 30-jährigen Krieg hatte die Bevölkerung in Deutschland sich wieder so stark vermehrt, dass es z.B. in Süddeutschland wieder zu viele waren. Gesundheitsfürsorge und Ernährung waren besser geworden. Die Menschen hatten mehr Kinder als in der jeweils nächsten Generation in Süddeutschland ernährt werden konnten.

      Viele wanderten deshalb aus. Die klassischen Länder, in die damals diese Menschen zogen, waren unter anderem Nordamerika, Russland und Preussen. Diese Länder aber waren in den 7-jährigen Krieg verwickelt. Es ist der Krieg, in dem Friedrich der Große in Europa gegen eine Übermacht der Russen, Österreicher, Franzosen , Schweden sowie der Reichsarmee kämpfte. Es war auch der Krieg, in dem die Briten den Spaniern Florida und den Franzosen Kanada, Louisiana und große Teile Ostindiens wegnahmen. An den britischen Erfolgen in diesem Krieg hatten hessische Söldner erheblichen Anteil. Die Angst vor den Werbern des Landgrafen hat in Hessen so manche Eltern wehrfähiger junger Männer zusätzlich veranlasst, das Land zu verlassen.

      In ein vom Krieg geschütteltes Land zieht man aber nicht freiwillig. Wir haben die große Freude, dass unsere Gedanken, wenn sie in diese Zeit zurückgehen, nicht in die Länder schweifen müssen, in denen der Krieg hauste. Unsere Schleswig-Holsteinische Heimat als Teil des Dänischen Gesamtstaates lebte damals in Frieden. Auch in der schrecklichen Zeit des 7-jährigen Krieges, der in Wirklichkeit ein Weltkrieg war, gab es Oasen des Friedens. Friedrich der V. von Dänemark, ein Schwager Friedrichs II von Preußen, hatte sein Land aus diesem Krieg herausgehalten. Und so war es für kurze Zeit möglich, Auswanderer in dieses Land zu locken. Der dänische König hatte den Einwanderern zwar bedeutend weniger zu bieten als vorher die genannten Länder, aber er regierte über ein friedliches Land.

      Und so nahm König Friedrich die Gelegenheit war. Er wollte die Zahl seiner Untertanen erhöhen und damit die Wirtschaftskraft und die Steuerkraft des Landes. Dies war ein Plan ganz im Sinne des Merkantilismus, einer Denkweise, nach der sich der Wert des Staates an der Anzahl seiner Bewohner und ihrer Produktivität orientierte. Der König wird auch daran gedacht haben, die Zahl der möglichen Rekruten erhöhen zu können. Und dann hatte er noch einen speziellen Plan, über den zu berichten besondere Freude macht. König Friedrich und seine Berater wussten natürlich, dass man mit der Kartoffel mehr Menschen ernähren kann als mit anderen Früchten wie z.B. Getreide. Düngemittel waren vor der Zeit des Justus von Liebig immer und überall knapp. Und bei nachlassender Bodenfruchtbarkeit bringt die Kartoffel den höchsten Ertrag an verdaulicher Energie für den Menschen. König Friedrich hatte nur das Problem, dass seine Untertanen nicht bereit waren, Kartoffeln zu essen. So gab er seinen Werbern einen ganz speziellen Auftrag. Sie sollten dort ihre Aktivitäten entfalten, wo der Verzehr der Kartoffel bereits üblich war. Und das war damals das südliche Hessen, es waren Teile von Württemberg und weitere Gebiete in Süddeutschland. So ergab es sich nicht von ungefähr, dass das Zentrum der Werbung in Frankfurt lag. Die vielversprechende Konkurrenz zu den Söldnerwerbern des Landgrafen wird ein weiterer Grund gewesen sein.

      Wenige Tage vor der Enthüllung des Gedenksteines in Friedrichsfeld hatte sich der für Friedrich den Großen so schlimme Tag von Kunersdorf sich zum 245. Mal gejährt. Diese Zeit war es, in der es in den genannten Regionen um Frankfurt herum besondere Zeitungsmeldungen gab. Die Leute wurden durch die Meldungen darüber informiert, dass sie sich in der "Königlich Dänischen Provinz Jütland" niederlassen konnten. Diese Zeitungsmeldungen waren von den süddeutschen Obrigkeiten noch nicht genehmigt. Die erste offiziell genehmigte Werbung erfolgte am 25. Januar 1761, also fast zwei Jahre später. Aber wir wissen, dass schon drei Tage nach diesem 25. Januar die ersten Kolonisten sich auf den Weg machten; ich habe eben darauf hingewiesen. Die inoffiziellen Werbungen hatten also schon vorher gewirkt.

       

    5. Was hatte man ihnen versprochen?
    6. Was hatte man ihnen versprochen? Sie sollten so viel Land erhalten wie jeder bebauen könnte. Sie sollten 20 Jahre Steuerfreiheit haben. Jeder sollte 100 Gulden Reisegeld erhalten. Häuser, Stallungen, Scheunen und Vieh wollte man ihnen liefern. Bis sie sich selbst ernähren könnten, sollten sie ein Tagegeld erhalten. Es schien also für alles gesorgt zu sein. Sie mussten nur irgendwie Altona erreichen. Denn von Altona, auch das war ihnen zugesichert, sollten sie frei an Ort und Stelle transportiert werden.

      Wir wissen also jetzt, warum die Menschen in unser Land kamen. Die Frage, mit der wir uns an dem heutigen Tag beschäftigen wollen, geht aber weiter. Bei dem Gedenkstein geht es um die Familien, die hier geblieben sind und Nachkommen bis in die heutige Zeit haben. Und das war nur ein kleiner Teil der 1.000 Familien.

    7. Nur jede fünfte Familie blieb hier
    8. Herr Winkel und seine Helfer haben sie noch nicht alle aufgespürt, auf dem Stein waren am Tag der Enthüllung 75 Namen eingraviert. Hinter einigen von ihnen verbergen sich mehrere Namensträger, so dass wir mit der Zahl der zu dem Zeitpunkt erforschten Familien nicht sehr weit von 100 entfernt sind. Nach Schätzungen sind es insgesamt ca. 200 der 1.000 Familien, die sich so ermitteln lassen werden. Vielleicht können einmal gut 150 Namen von knapp 200 verschiedenen Familien auf dem Stein zu finden sein, denn Herr Winkel und seine Mitstreiter machen natürlich mit ihrer Suche weiter.

      Die Abstammung von den ursprünglichen und vor allem den süddeutschen Kolonisten war bis vor wenigen Jahrzehnten nicht im Bewusstsein der Bevölkerung. So konnte man 1940 in der Arbeit von Gooss folgendes lesen, wobei sie nur über die Kolonien im Eidergebiet (Christiansholm, Friedrichsgraben, Friedrichsholm, Königshügel, Sophienhamm, Prinzenmoor) schreibt: "Von den einstigen Kolonisten aus Süddeutschland sind keinerlei Spuren in der Bevölkerung zurückgeblieben. Mit wenigen Ausnahmen haben alle Kolonistenplätze mehr oder weniger stark ihren Besitzer gewechselt. Nur in Christiansholm gibt es noch Familien (Mentzer, Schwerdt und Vosseler), die von den eingewanderten Kolonisten abstammen." Wir wissen inzwischen, dass Frau Gooss, die ansonsten sehr fundiert über das Kolonistenwerk schrieb, sich in diesem Punkt gründlich geirrt hat. Der größte Teil ihres Irrtums geht erkennbar darauf zurück, dass in ihrer Betrachtung Nachkommen nur solche sind, die sich über reine männliche Linien zu den Kolonisten zurückführen lassen, und damit deren Namen tragen. So gibt es beispielsweise von den beiden Kolonistenfamilien mit Namen Schömer aus Königshügel in der Hohner Harde Nachkommen in großer Zahl und auch einige wenige, die den Namen Schömer tragen. Wenn man davon ausgeht, dass in jeder Generation Jungen und Mädchen in gleicher Zahl geboren werden, gibt es in der ersten Nachkommengeneration 50% mit demselben Namen. In der zweiten sind es dann 25%, in der dritten 12,5% usw.. Dieses Phänomen erklärt zum größten Teil die Tatsache, dass wir heute so viele Kolonistennachkommen finden, ohne es an ihren Namen erkennen zu können. Der Verfasser dieser kleinen Schrift z.B. trägt den einheimischen Namen Stamp, ist aber gleichzeitig Nachkomme der süddeutschen Familien Schwerdt, Freundt, Schömer und Obermüller. Alle vier sind Familien aus dem Eidergebiet, von denen Frau Gooss aber nur eine erwähnt.

    9. Warum liefen so viele wieder weg?
    10. Warum liefen so viele wieder weg? Der Hauptgrund ist, dass sie von dem, was sie vorfanden, enttäuscht wurden. Das war nicht nur die geringe Qualität der Böden, über die wir in einem nachfolgenden kurzen Vortrag von Herrn Dr. Stamp noch einiges hören werden. Nein, man hatte ihnen schlicht etwas vorgemacht. Es gab nicht so viel Land wie jeder anbauen konnte. Es gab neun Hektar bzw. 12 Hektar je nach Bodenart und sonstigen Umständen. Man hatte nicht mehr Land zur Verfügung. Den Kolonisten sagte man, mit noch mehr Land würden sie nicht fertig werden, sie würden einen Teil verkommen lassen. So machte man aus der Not eine zynisch klingende "Tugend".

       

      Die Häuser waren nicht fertig. Man musste zunächst Ziegeleien bauen, bevor das erforderliche Baumaterial verfügbar war. Die Kolonisten hatten also keine eigenen Unterkünfte. Sie wurden bei Einheimischen einquartiert, die ihnen gegenüber feindselig gesonnen waren. Es entwickelte sich ein erhebliches Protestpotenzial unter den Einheimischen und als Ergebnis davon auch unter den Kolonisten. Viele sprachen davon, wieder wegziehen zu wollen. Erlaubt war das nicht, denn man hatte auf den dänischen König ähnlich wie Soldaten einen Eid schwören müssen.

    11. Vereidigung auf dem Gottorfer Schlosshof
    12. Ein großer Tag zu Gottorf (24.7.1761)

      (Vereidigung, Huldigung, Verlosung)

       

      Vier Tage später als in Flensburg erfolgte auch im Amt Gottorf die Vereidigung der Kolonisten auf den neuen Landesherrn. Im Gegensatz zu Flensburg war hier ein großes Aufgebot von Menschen und der Tag zu einem wahren Jubelfest ausgestaltet.

      Der König hatte selbst laut Mitteilung der Rentenkammer vom 20. Juni 1761 angeordnet, "dass die dorten angekommenen und noch ankommenden Colonisten, männlichen Geschlechts, die erwachsenen und schon zum heiligen Abendmahl oder zur Confirmation gewesenen Jünglinge mit eingeschlossen, den Huldigungs- oder Untertanen Eid resp. Sofort und gleich Bey ihrer Ankunft, auf etwas Solenne Weise leisten sollten". Die Rentekammer ersuchte den Amtmann "gantz dienst und dienstlich, solches unbeschwert ins Werk Zu richten", was dann auch geschah: die Ansprache wurde entworfen, der Eid abgefasst, eine Liste der Huldigenden angefertigt, der Schlosskommandant betreffs Salut informiert, Erwägungen über die Nachfeier angestellt. Der leutselige Amtmann bat, mit ein paar hundert Reichstalern nicht zu knausern; es seien "ja geringe Kosten für einen König dessen Neigung es ist, sein Volk mit Wohltaten zu überschütten". Zur Hebung der Stimmung ließ er Bier und "franschen Wein", woran sie gewöhnt seien, beschaffen, doch hielt er es nicht für ratsam, ihnen den landesüblichen "verführerischen Brannewein" vorzusetzen. Man erwartete eine große Wirkung von der allgemeinen Hochstimmung dieses Festtages, nicht nur für die Kolonisten, sondern auch für die Einheimischen, die als Zuschauer geladen waren: Brüderliche Einigkeit untereinander und freiwillige Treue gegenüber dem dänischen Herrscherhaus waren Absicht und Wunsch, die die Veranstalter mit diesem Tag verbanden.

      Und so kam dann der von allen mit Spannung erwartete Julitag heran. Die meisten hatten von ihren Quartieren einen stundenlangen Anmarschweg zurückzulegen (Fockbek, Bollingstedt!) falls ihre Wirtsleute nicht einen Wagen angespannt hatten. Doch was schadete es, jetzt entschied es sich doch, wo man Land, Hütte und haus bekommen würde.

      Ehe man zur feierlichen Handlung schritt, brachten die Sprecher der Kolonie noch 2 Bitten vor: man ersuchte die Koloniebehörde 1. mit Zuteilung der Gründe(d. h. der Landesfläche) nicht zu kleinlich zu verfahren und 2., doch für die Ausübung des Gottesdienstes wie für den Unterricht der Kinder Sorge zu tragen. Beides wurde ihnen huldreich zugesagt.

      Sodann stellten sich die 388 männlichen Kolonisten – 30 fehlten – auf dem Schlossplatz in Reihen "vor den Königlichen Fenstern" auf. Der Kammerherr und Amtmann v. Plessen hielt eine lange und salomonische Weisheit ihres Herrschers. Er begann: "Willkommen, meine lieben Colonisten! Vergleicht den Zustand der Länder, von welchen ihr herkommt, und welche ihr auf der Reise verwüstet angetroffen habt, mit diesem. Augenschein und Erfahrung werden euch überzeugen, dass Gottes Hand und die kluge Regierung unseres dänischen Salomos dieses nordische Reich zum wahren gelobten Lande gemacht haben. Danket also Gott, der nach seinem allweisen Rahte euch hierher geführet hat …; und überhaupt die mildeste Regierung eines besten Königs und wahren Vaters Seiner lieben Unterthanen haben euch zu diesem Canaan angezeigt". Dort sei Freiheit des Glaubens und Schutz vor Feinden.

      Freunde und Förderer würden sie finden an ihren bisherigen Wirten und nunmehrigen Nachbarn. Frei würden sie sein auf eigener Scholle. Das erfordere Dank und Gehorsam gegenüber Gottes Gesalbten, und die äußere sich in fleißiger Arbeit und gefälligem Umgang mit den Nachbarn. Der Amtmann schloß mit dem Hinweis: "Wahre Gottesfurcht ist mit der Arbeit verknüpft, und ein gefälliger Umgang erwirbt jederzeit Liebe und Hülfe des nächsten".

      Sodann sprachen alle Kolonisten mit "aufgehobenen 3 Finger unter freyem Himmel" die von Amtmann von Plessen entworfene lange Eidesformel nach – die erhobenen Finger symbolisierten die Dreieinigkeit Gottes, vor der sich die beiden anderen als Darsteller von Leib und Geist in Demut neigen. Eide, die unter freiem Himmel geschworen wurden, wo man sich gemäß alter Überlieferung der Gottheit näher fühlte als im überdachten Raum, galten als besonders heilig und wurden bei besonderen Anlässen eigens gefordert.

      D e r K o l o n i s t e n e i d lautete:

      "Wir schweren zu Gott und dem heiligen Evangelio:

      Dem Allerdurchlauchtigsten, unserem jetzo mit Herz und Mund angenommenen Allergnädigsten Erbkönig und Herrn, Herrn Friderich dem Fünften, von Gottes Gnaden König zu Dänemark, Norwegen, der Wenden und Gothen, Herzoge zu Schleswig-Holstein, Storman und der Dithmarschen, Grafen zu Oldenburg und Delmenhorst, Und Seinem Allerhöchsten Königl. Erbhause als christliche und redliche Unterthanen treu und hold zu seyn und bleiben, dero Allerhöchstes Interesse auf alle Weise vorzüglich und nach allen Kräften zu suchen, Schaden und nachtheil hingegen zu verhindern, insbesonderheit aber durch unser Betragen in Worten und Werken dahin zu streben, dass Sr. Königl. May. Absolutum, Dominium, Souveraineitet, und Erbrecht auf Allerhöchst deroselben Reiche und Lande unveränderlich beybehalten und auf dero rechtmäßige Erb-Succeßores fortgepflanzet werde.

      Darüber wollen wir halten, und desfals Guht, Blut, ja selbst Leib und Leben wagen.

      Wir wollen weder heimlich noch offenbar, weder directe noch indirecte verstatten, dass jemand, es sey, wer es wolle, dagegen auf einige Weise etwas unterfangen, sondern insoferne ein solches wieder Verhoffen geschehen sollte, und wir das geringste davon erfahren, wollen wir, ohne Ansehender Person solches unverzüglich Sr. Königl. May. Alleruntterthänigst vorbringen, und uns überhaupt in unserem Stande und Berufe so aufführen, wie es getreuen Unterthanen gebühret und wohl anstehet.

      So wahr uns Gott helfe, und Sein Seliges Wort!"

      Mit der Vereidigung auf den dänischen König wurden die Kolonisten, offiziell dänische Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Zu letzteren gehörte auch, dass sie nicht ohne behörliche Genehmigung dies Land wieder verlassen konnten. Taten sie es doch, waren sie Deserteure wie Fahnenflüchtige beim Militär.

      "Auf die Endigung des Eydes", so berichtete am gleichen Tag der Amtsschreiber Jensen, "stimmten alle Colonisten nach dem Exempel des Kammerherrn v. Plessen unter Aufwerfung der Hüte ein dreyfaches Jubelgeschrey an, das die Erhaltung und den Wachstum des Königlichen Allerhöchsten Souverainen Erbhauses zum Gegenstand hatte". Man war zu Tränen gerührt, und der Schlosskommandant untermalte die Aufwellung der patriotischen und brüderlichen Gefühle "mit 27maliger Abfeuerung der Kanonen unter dem Schalle der Pauken und Trompeten".

      Dann schritt man zur Verlosung des Landes. Lange hatte man sich überlegt, wie das zu geschehen habe – ob die Kolonisten durch diesen Akt willkürlich durcheinander gewürfelt werden sollten oder ob die einzelnen Trecks, d. h. damit auch die Verwandten und Bekannten, möglichst beisammen bleibe und gemeinsam in dieselbe Kolonie ziehen sollten, wo dann im einzelnen die Höfe zu verlosen seien. Im letzteren Falle wäre die Ankunft im Lande bestimmend für die Unterbringung in den einzelnen Kolonien; Trupp 1 hätte in die Kolonie Nr. 1, Trupp 2 zur Auffüllung in die gleiche Kolonie bzw. in die Kolonie Nr. 2 zu ziehen, usw. Am 11. Juli hatte sich der Amtmann v. Plessen gegenüber der Rentekammer gegen eine willkürliche Verlosung der Zugehörigkeit zu den Dörfern und für ein Ansetzen nach der Ankunft ausgesprochen. Das habe zwar den Nachteil, dass die zuletzt eingetroffenen Kolonisten ins Moor müssten, es sei aber der geringere Nachteil, da "allen vor der Zerstreuung grause". Die Rentekammer ergriff in der Frage der Verlosung keine Partei, sondern sie stellte am 14. Juli v. Plessen anheim, diese Sache nach seinem Gutdünken zu entscheiden.

       

    13. Wer wegzog, war ein Deserteur
    14. Wer wegzog, war ein Deserteur. Viele wurden auch wieder eingefangen und schwer bestraft. Sie kamen – wie es hieß – an den Karren. Wer sich im Rendsburger Museum einmal die Dokumente über die Karrenstrafe in der Festung Rendsburg angesehen hat, erlebt noch heute, dass es ihm kalt den Rücken hinunterläuft. Am 1. Februar 1764 ereignete sich der Rußlandkomplott in Friedrichsholm. Von diesem Komplott zur Vorbereitung einer derartigen Flucht sind besonders viele Einzelheiten überliefert. Ein aus Württemberg stammender Schlachter namens Michael Siegward, der bei dem Kolonisten Michael Henser auf dem Hof Nr. 26 in der Friedrichsholmer Kolonie zur Miete wohnte, hatte schriftliche Aufrufe der russischen Zarin Katharina der Großen aus Hamburg mitgebracht und überredete am 1. Februar 1764 in Hensers Haus einige, das Land zu verlassen. Die Deserteure wurden jedoch schon in Jevenstedt gefaßt und schwer bestraft, Siegward und einige andere erhielten ein halbes Jahr Karrenstrafe. Das Haus von Michael Henser ist eines der wenigen heute noch erhaltenen Kolonistenhäuser. Henser selbst wurde vor Gericht für unschuldig erklärt. Er desertierte jedoch wenige Monate später. Schon unter dem 12. November 1764 finden wir einen neuen Besitzer auf dem Hof Nr. 26 namens Jacob Carstens.

      Es gab also Deserteure. Und zwei Jahre nach Beginn des Ganzen kam noch eines hinzu, 1763 fand der 7-jährige Krieg sein Ende. So mancher meinte, sich verbessern zu können, wenn er weiter zog in die jetzt friedlich gewordenen Länder. Und hier schieden sich die Geister. Auch wenn sie gerade ihre alte Heimat verlassen hatten, waren viele Kolonisten im Kern doch bodenständig. In der alten Heimat waren die Chancen nur einfach zu schlecht gewesen. Warum sollten sie sich einer weiterhin ungewissen Zukunft überlassen, wenn sie doch hier ihr Schicksal kalkulieren konnten, auch wenn sie es sehr schwer hatten?

      Es waren natürlich auch viele Abenteurer unter ihnen und die wurden durch die neuen Werbungen aus weiter entfernten Ländern angezogen. Vernünftige und Bedächtige nahmen den Spatz in der Hand und schielten nicht nach der Taube auf dem Dach. Es gab unter den hier gebliebenen Familien solche, die mit großer Planmäßigkeit vorgingen. Sie waren von eiserner Sparsamkeit und nahmen die Herausforderung an. Noch 180 Jahre später wurde die Sparsamkeit der Kolonistenfamilien eindrucksvoll und auch öffentlich dadurch dokumentiert, dass bei der Entschuldung der Landwirtschaft im Jahre 1938 ganze Dörfer völlig schuldenfrei waren wie z.B. Christiansholm und Friedrichsholm.

      Die Kolonisten steuerten zielstrebig darauf hin, sich eine solide Existenz zu schaffen. Waren die Umstände auch noch so schwierig, die tüchtigsten von ihnen schafften es. Und so war es denn letztlich eine Auslese der tüchtigsten, die auf ihren neu erworbenen Höfen blieben. 200 von 1.000, das klingt hart. Aber nun versteht man, warum Kamischke in Friedrichsfeld sagte, dass die heute lebenden Nachkommen auf die Abstammung von diesen hier gebliebenen Kolonisten besonders stolz sein könnten. In einer Schrift aus dem Jahre 1940 liest es sich mit der Sprache jener Zeit so: "Wir werden sehen, dass die sittlichen Qualitäten der Moorbevölkerung, ihr starker Lebenswille, ihre Arbeitskraft und Zähigkeit, ihre Initiative und fortschrittliche Denkungsweise, die als typische Merkmale festgestellt werden konnten, ausschlaggebend für das Gelingen waren."

    15. Eine Familie von vielen
    16. In einigen Fällen war es vor allem auch der Familienzusammenhalt, der diese Menschen unter den schwierigen Bedingungen so stark machte. Ein solches Beispiel soll jetzt besonders geschildert werden. Die Menschen kamen in Trecks. Einem dieser Trecks wollen wir uns besonders zuwenden. In den Moordörfern der Hohner Harde wurde dieser Treck angesiedelt. Schlüter nennt sie in seiner schönen Arbeit über die Familie Freund die Darmstädter Gruppe. Es waren dies 34 Familien. Unter den "Familienvätern" war der jüngste 20 Jahre alt und der älteste 60 Jahre. Zehn "Familien" waren noch ohne Kinder. Die übrigen 24 Familien haben insgesamt 76 Kinder. Man hatte Planwagen und offene Wagen, aber beides nur für das Gepäck und die kleinsten Kinder. Ansonsten ging man zu Fuß. Bei angenommenen vier km/h Marschgeschwindigkeit war man also um die sieben Stunden täglich auf den Beinen. Rechnet man Pausen hinzu, war der Reisetag etwa 10 Stunden lang.

      Er bestand aus 34 Familien und kam im Frühjahr 1761 aus Dörfern, die man heute von Darmstadt aus mit der Straßenbahn erreichen kann. Unter den 34 Familien aus der Gegend südlich von Darmstadt waren drei, die in besonders enger Verbindung zueinander standen. Zwei Brüder mit ihren Familien und als dritte Familie von dem einen der Brüder die älteste Tochter mit ihrer jungen gerade frisch gegründeten Familie. Die junge Frau hatte kurz vor der Abreise in Südhessen ihr erstes Kind geboren.

      Drei ihrer vier Brüder zogen unverheiratet mit der Familie des Vaters. Der vierte Bruder, im Alter ihr am nächsten, war ebenfalls schon verheiratet und zu Hause geblieben. Die Familie hatte nüchtern gerechnet und war jedenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass es bei den geringen Landflächen in der nächsten Generation nur für eine aber nicht für sechs Familien reichen würde. Die Familie des zu Hause gebliebenen gehört heute dort noch zu den bekanntesten und wie man so sagt, zu den gesellschaftlich führenden Familien. Die Tatsache, dass die Familienbegräbnisse des 20. Jahrhunderts dort in Seeheim an der Bergstraße in unmittelbarer Nähe zur Kirche liegen, sagt über die soziale Stellung der Familie in der alten Heimat so einiges.

      Die ausgewanderten Mitglieder dieser Familie waren also die beiden schon etwas älteren Familienväter, ihre Kinder und ein noch im Süden geborenes Enkelkind. Das zweite Enkelkind wurde dann in einer primitiven Erdhütte geboren. Nachkommen dieses Kindes sind heute unter uns. Es hat dem kleinen Johann – so hieß das Kind - also nicht einmal geschadet. Warum in einer Erdhütte? Die Kolonisten gingen schon auf ihre Höfe, obgleich die zugehörigen Gebäude noch nicht fertig waren. Um auf ihrem Land arbeiten zu können und morgens und abends keine zu weiten Wege zu haben, bauten sie sich bescheidene Erdhütten. In solchen Erdhütten wohnten sie teilweise auch mit mehreren Familien. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist eine mit Steinen ausgekleidete Mulde auf dem Kolonistenhof der Diakonie in Neuduvenstedt der Überrest einer solchen Erdhütte. Archäologen hatten den Fund in Neu-Duvenstedt zunächst für einen Eiskeller gehalten, bis ihnen klar wurde, dass Menschen in bitterer Armut sich mit Sicherheit keinen Eiskeller geleistet haben.

      Kehren wir zu der besonders erwähnten Familie zurück. Vier fast erwachsene junge Männer und ihr gleichaltriger Vetter und die junge Mutter mit zwei kleinen Kindern, dass waren die Voraussetzungen für ein tragfähiges Bündnis. Die beiden älteren Familienväter waren offenbar auch sehr geschickt im Umgang mit den anderen Kolonisten im Dorf. Sie sorgten zwar dafür dass das Amt des Ladevogtes – wir würden es Bürgermeister nennen – in ihre Familie kam. Aber sie waren geschickt genug, den Schwiegersohn, den Vater der beiden kleinen Kinder, in dieses Amt zu bringen. So war das Amt nicht mit ihrem Namen verknüpft.

      Als die jungen Männer einer nach dem andern erwachsen wurden, übernahmen sie Höfe von anderen, die davon gelaufen waren. Sie heirateten junge Frauen aus dem Dorf, alles Mitglieder der 34 Familien, über die ich eben gesprochen habe. In der ersten Generation blieben die Kolonisten noch weitgehend unter sich. Erst in der zweiten Generation kam es zu einer nennenswerten Zahl von Verbindungen mit Einheimischen.

      Für uns ist es heute selbstverständlich, dass wir uns hochdeutsch unterhalten. Die Einheimischen aber sprachen damals plattdeutsch und die Kolonisten sprachen ihre hochdeutschen Dialekte. Es ist durchaus denkbar, dass sie sich gar nicht verständigen konnten. Die Kinder werden dann die Sprache der Mehrheitsbevölkerung, das Plattdeutsche, übernommen haben. Hierzu müssen wir uns eine Situation auf dem Schulhof vorstellen. Kinder lernen schnell, und wenn es nur darum ging, eine ihrer kargen Pellkartoffeln gegen ein Pausenbrot eines einheimischen Klassenkameraden einzutauschen. In der Enkelgeneration wird das Plattdeutsche selbstverständlich geworden sein. Unter uns ist so mancher, der plattdeutsch als Muttersprache hat. In den Fällen ist es wohl ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke, dass es hochdeutsch sprechende Vorfahren gegeben hat.

    17. Es begann Am Königswege
    18. Insgesamt wurden damals im Herzogtum Schleswig 47 Kolonistendörfer gegründet. Das erste fertige Haus war ein Einzelgehöft. Die meisten von Ihnen werden es kennen. Es ist jetzt der Hof "Am Königswege" am Stadtrand von Schleswig, ein Heim für geistig pflegebedürftige Menschen. Das Haus war ein Kolonistenhaus vom Typ I , ein typisches Niedersachsenhaus von 12,18 m Länge und 8,60 Breite. Später baute man den Typ II, der etwas größer ist. Zum Vergleich: das damalige Haus eines Halbhufners hatte 22,88 x 11,44. Die Dächer waren ungewöhnlich steil, ein Dachsparren war 6,90 m lang. Die Wände waren mit 10 Zoll-Ziegeln gemauert. Das Baumaterial kostete insgesamt 313 Taler, eine Kuh 10 Taler. Man verbaute also den Wert von gut 30 Kühen. Heute wären das 25000,- Euro. Für das Moor wurden leichtere Häuser gebaut, aus "Lehm, Stecken und Schechten". Sie hatten keine Steinfundamente, sondern als Gründung einen hölzernen Rahmen.

      Wir sind über die erzielten Erträge in der Landwirtschaft aus damaliger Zeit recht gut informiert sind. Und wir wissen, dass die Erträge von Jahr zu Jahr sanken. Bei Gooss finden wir Angaben über die erzielten Erntemengen pro Dorf. Das sind zwar keine Flächenerträge, gleichwohl ist der Rückgang, der teilweise auch durch Anlage von Grasland entstanden ist, erschreckend. So wurden in Friedrichsholm 1766 noch 201 Tonnen Roggen geerntet, 1774 waren es nur noch 53 Tonnen. Beim Hafer gingen die Zahlen sogar von 69 auf 3 Tonnen zurück. Dagegen ist der Rückgang bei Kartoffeln von 502 auf 237 Tonnen nicht so gravierend. Die Kartoffel eignete sich besser als Getreide. Gut eignete sich auch der Buchweizen, der in Friedrichsholm in der besagten zeit nur von 103 Tonnen auf 81 Tonnen zurückging.

      Den Kolonisten war die Nutzung der Torfflächen zur Gewinnung von Brennmaterial für den Verkauf untersagt. Ihre Landwirtschaft wurde durch die Auslaugung der Böden von Jahr zu Jahr schwieriger und die meisten gerieten bald in große Not.

      Wir kennen alle den Spruch: Der Erste den Tod, der Zweite die Not, der Dritte das Brot. Es ist selten so wahr gewesen wie bei den Kolonisten der Schleswiger Geest. Ob man auf diesen Aspekt stolz sein kann, muss nicht abschließend entschieden werden. Stolz kann man sicherlich auf die sein, die mit der Not fertig wurden. Eines wissen die heutigen Nachkommen der Kolonisten: Ihre Vorfahren hatten unendlich viel von dem, was wir heute Leidensfähigkeit nennen. Mit Leidensfähigkeit allein aber war es nicht getan, sie mussten auch findig sein. Auf unserem Gedenkstein ist ein Name einer Familie zu finden, die es mit Gastwirtschaft versuchte. Das war den Kolonisten zwar ebenso verboten wie die Torfgewinnung, war aber eine von vielen Möglichkeiten, zu etwas Geld zu kommen. Der betreffende Familienvater hat wegen der, wie es damals hieß, verbotenen Krügerei auch einige Tage auf Gottorf im Gefängnis gesessen. Andererseits gehört dieser selbe Mann zu denjenigen, die wegen ihrer guten Leistungen kurz darauf als erste auch Anerkennungsgeschenke bekamen.

      Die ersten dieser Geschenke waren meistens eine Bibel oder ein paar Reichstaler. Zu den Überlebenstaktiken gehörte auch, dass Kolonisten auffällig oft die Höfe wechselten. Wenn eine Stelle verlassen worden war, wurde genau geschaut, ob sie nicht besser war als die eigene. Schnell kam es dann zum Tausch. Einige Jahre später waren die Zahlen möglicher Tauschpartner erschöpft. Es kam dann auch dazu, dass solche verlassenen Höfe den bewirtschafteten zugeschlagen wurden. Diese Vergünstigung des Erwerbs gegen wenig Geld bekamen nur die Tüchtigsten. Und so war es oft nicht erst die dritte sondern schon die zweite Generation, die das Brot hatte. Sie besaßen dann 18 bis 24 Hektar, zwar auf meist sehr schwachen Böden, aber das war schon eine bessere Grundlage.

    19. In der neuen Heimat nicht gern gesehen
    20. Wir müssen noch einmal auf die Zwistigkeiten zwischen den Einheimischen und den Kolonisten zu sprechen kommen. Die Einheimischen waren dabei natürlich in der stärkeren Position. Die Kolonisten brauchten, wenn sie sich behaupten wollten, in diesen Auseinandersetzungen ein erhebliches Durchsetzungsvermögen. Und dabei wird es nicht so sehr um Stärke gegangen sein, schon gar nicht um körperliche Stärke. Anpassungsfähigkeit ist wohl eher ein Merkmal, um das es dabei ging. In der Hinsicht hatten es natürlich große Familien wie die eben von mir beschriebene leichter als die anderen, weil sie sich untereinander im Familienverband stützen konnten. Drei junge Männer zusammen mit einem Vetter und einem Schwager waren in einem kleinen Dorf eine Macht.

      Auffällig ist es auch, dass gerade Vertreter dieser stärkeren Familien - aber auch andere - sich schon in der dritten Generation nicht nur mit Einheimischen verehelichten, sondern auch sozial aufstiegen. Ein auffälliges Phänomen ist dabei, wie schnell die jungen Frauen aus den Kolonistenfamilien durch Heirat in die klassischen Bauerndörfer eindrangen. Wenn so viel von der angeblichen Blutauffrischung durch die Heimatvertriebenen der Jahre nach 1945 die Rede ist, ist das für die Schleswigsche Geest nichts Neues gewesen. Die Kolonisten haben sich nach einer Zeit der Auseinandersetzung mit den Einheimischen doch bald zu ganz normalen Bürgern ihrer neuen Heimat entwickelt, die nicht mehr als Neuankömmlinge angesehen wurden.

      Und was die Auseinandersetzungen mit den Einheimischen der ersten Zeit anbelangt, muss man einen anderen Umstand noch für bedeutsam halten. Die Kolonisten hielten in diesen Auseinandersetzungen zusammen, auch in den Fällen, in denen es keine Familienbande gab. Es ist überhaupt auffällig, wie wenig Überlieferung es über Streitigkeiten innerhalb der Kolonien gibt. Die Not hat sie sicherlich zusammengeschweißt, aber vielleicht steckt hier ja ein weiteres Wesensmerkmal der aus Süddeutschland stammenden Vorfahren, soweit sie auf ihren kleinen Höfen durchhielten. Wenn wir etwas über Streitigkeiten zwischen Kolonisten hören, sind es Auseinandersetzungen über die Frage, ob man wieder wegziehen soll oder nicht. Die Wegzugswilligen versuchten, andere aufzuwiegeln. Dabei kam es zur Bildung von zwei Lagern, die sich gelegentlich auch durchaus feindlich gegenüberstanden. Eines dieser beiden Lager, das waren, meine Damen und Herren, Ihre Vorfahren. Und die hielten zusammen. Wer sich über die nach Russland weiter gezogenen Kolonisten informieren will, wird auf Bodensieck verwiesen.

      Die Streitigkeiten zwischen den Einheimischen und den Kolonisten waren häufig heftig und immer unschön. Sie gingen fast immer von den Einheimischen aus. Dies war aber auch verständlich, denn schließlich nahm man den Einheimischen etwas weg, ohne dass es dafür wirklich eine für sie erkennbare Notwendigkeit gegeben hätte. Man sagte: "Warum hat der König sie gerufen? Wir hätten sie nicht gebraucht."

      Die Einquartierung der Kolonisten auf den Höfen der Einheimischen war für diese eine ungewohnte Belastung. Die Verringerung der allgemeinen Weideflächen der Einheimischen zu Gunsten der Kolonisten nagte teilweise an der Existenz. Es gab Ablieferungspflichten und vieles mehr. Und dies alles brachte die Einheimischen auf fast natürliche Weise gegen die Kolonisten auf. Wir kennen aus dem Buch von Otto Clausen auch einen Fall, wo ein Pastor als Einheimischer sich über das Kolonisierungswerk beschwerte. Er beschwerte sich - wohlgemerkt - nicht über die Kolonisten. Er zeigte auch viel Verständnis für sie. Er beklagte aber, dass er ohne zusätzliche Hilfe und ohne zusätzliche Vergütung fast eine Verdoppelung seiner Amtspflichten hinnehmen musste. Wir können das heute gut nachvollziehen.

      Die Kolonisten werden es dennoch als Herabsetzung empfunden haben. Und wir können es heute noch im Hohner Kirchenbuch erkennen. Pastor Claußen verfasste die Eintragungen über die Kolonisten meist knapper als diejenigen über die Einheimischen.

      Die Zeit ist darüber hingegangen, die Streitigkeiten waren bald vergessen. Und wenn wir in Friedrichsfeld mit so vielen leiblichen Nachkommen der Kolonisten zusammen gekommen sind, gibt es gerade im Hinblick auf die Beschwerde des eben erwähnten Pastors unter den Kolonistennachkommen eine Besonderheit. Unter uns sind Nachkommen der Kolonisten, die gleichzeitig Nachkommen des erwähnten Pastors sind. Das hat Pastor Claußen sich sicherlich nicht träumen lassen, dass seine Nachkommen sich einst mit den Nachkommen der Kolonisten verbinden würden. Vielleicht hätte er dann auch etwas ausführlicher über sie geschrieben.

      Ein anderer Pastor im Kolonistengebiet beschwerte sich zwar nicht, brachte aber seinen Unmut über das Kolonistenwerk auf eigene Weise zum Ausdruck. Er weigerte sich zeitlebens die offiziellen nach dem Königshaus klingenden Namen der Kolonistendörfer zu verwenden. Und wie er machten es viele seiner Gemeindemitglieder und auch die übrigen Menschen in der Gegend. Dabei sind dann Bezeichnungen wie Achthüüs, de Foftein oder auch Lichtenhüüs entstanden. Die Menschen gewöhnten sich im zuletzt genannten Fall nicht an den Namen Königsberg. Sie nannten den Ort nach den leichten Häusern, wie sie speziell für die Moorkolonien gebaut wurden. Häufig verwendeten sie auch statt der neuen Namen einfach die alten Flurnamen weiter; Glimmoor und Voßbarg sind Beispiele dafür, die Namen Julianenebene und Friedrichsgraben – und darum geht es hier - beginnen erst in jüngster Zeit sich durchzusetzen.

    21. Namen der Dörfer klangen nach dem Königshaus
    22. Die Namen der Dörfer klangen fast alle nach dem Königshaus. Dabei wurde Friedrich, der Name des Königs selbst, am häufigsten verwendet. Christian war der Kronprinz und Juliane die Königin, eine Schwester der Ehefrau Friedrichs des Großen aus dem Herzogtum Braunschweig. Sophie war eine Tochter des Königs, eine spätere Königin von Schweden. Nationale Gegensätze gab es damals noch nicht. Der dänische Gesamtstaat war ähnlich wie Österreich-Ungarn ein Vielvölkerstaat. Sprachbarrieren waren leichter zu überwinden als es später nationale Barrieren waren. Zwischenzeitlich hatten wir andere Entwicklungen. Und es ist ein schöner Gedanke, auch beim aktuellen Thema der europäischen Integration an die Kolonistenzeit anknüpfen zu können.

    23. Ein gewaltiges Werk der Integration

    Sie kennen den Spruch: "Gehabte Leiden habe ich gerne". Das Kolonistenwerk war auch ein gewaltiges Werk der Integration. Und gerade weil die Zeiten so besonders schwer waren, wiegt für die Familien, die es überstanden haben, der Erfolg doppelt. Heute wollen wir uns darüber freuen und uns dankbar unserer Vorfahren erinnern, die nicht nur unsere Existenz überhaupt erst ermöglichten; sie schufen auch für unser Land und für seine heutige Bevölkerung als Ganzes eine fantastische Grundlage. Das gilt für die Kreise Schleswig-Flensburg, Nordfriesland, Rendsburg-Eckernförde sowie für Nordschleswig ebenfalls und natürlich auch für die "Kartoffeldeutschen" im Norden Jütlands. Es ist schön, ein wenig darüber wissen, was das für Menschen gewesen sein müssen, von denen in dieser Gegend so viele Menschen abstammen.

     

  3. Hatten sie als Bauern eine Chance?
  4. Unter diesem Titel stand bei der Einweihung des Gedenksteins in Friedrichsfeld ein Vortrag von Dr. Hans Peter Stamp aus Rendsburg (Autor dieser Schrift), dem einige der nachfolgenden Anmerkungen entnommen sind:

    1. Hätte man es mit dem heutigen Wissen überhaupt gewagt?
    2. Bei dem in Friedrichsfeld enthüllten Gedenkstein geht es um ganz bestimmte Kolonistenfamilien. In der Erinnerung an diese Familien lohnt es sich, Betrachtungen aus der Sicht des landwirtschaftlichen Fachwissens hinzufügen. Dass die Menschen es damals sehr sehr schwer hatten, haben wir schon gehört. Lassen Sie uns jetzt über die Frage sprechen, ob man das Kolonisierungswerk so durchgeführt hätte, wenn man über das heutige Wissen verfügt hätte. Ja, hätte man es überhaupt gewagt? Am Rande sei vermerkt, dass nach heute geltendem Recht es sich bei der Urbarmachung von Mooren um verbotene Eingriffe in Natur und Landschaft handelt. Während der Zeit, von der hier die Rede ist und noch bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, handelte es sich um gesellschaftlich in hohem Maße erwünschte Vorgänge, die u.a. der Ernährungssicherung dienten.

    3. Die Erträge sanken von Jahr zu Jahr
    4. Wir haben schon davon gehört, dass die Erträge der Kolonisten von Jahr zu Jahr sanken. Die Landwirtschaft wurde durch die Auslaugung der Böden von Jahr zu Jahr schwieriger und die meisten gerieten bald in große Not. Was hatte man den Kolonisten versprochen? Sie sollten so viel Land erhalten wie jeder bebauen könnte. Es gab aber nicht so viel Land wie jeder bebauen konnte. Es gab neun Hektar für die Höfe auf der Heide und 12 Hektar für die Höfe im Moor. Man hatte nicht mehr Land zur Verfügung. Und wenn man es wagte, dennoch so viele Kolonisten herbeizurufen, beruhte dies auf einem Missverständnis. Man hatte auf den Rat eines Bauern aus Angeln gehört, der 30 Heitscheffel für angemessen hielt. Gemeint war dabei aber guter Boden der Landschaft Angeln. So kam man auf die 9 Hektar.

      Die Übernahme von verlassenen Höfen brachte ihnen in einigen Fällen 18 bis 24 Hektar. Alles, was ich nachfolgend sage, gilt für diese Fälle weniger streng; über die größere Fläche konnten sie einiges kompensieren. Insgesamt spielte sich aber alles auf sehr schwachen Böden und ohne die Kenntnisse über moderne Düngung ab. Der Leiter des Kolonisierungswerks, Dr. Erichsen, der aus Teutschendahl bei Mansfeld stammte, war Arzt. Erichsen war zwar Bauernsohn aber wissenschaftlich betrachtet verstand er von den Dingen nicht viel. Agrarwissenschaftler gab es damals noch nicht. Justus von Liebig, den man als Erfinder der modernen Düngerlehre bezeichnen kann, wurde erst 40 Jahre später geboren. Dabei klingt es fast ironisch, dass Erichsen sich auch mit der Chemie des Stickstoffs beschäftigt hatte, aber zu einem anderen Zweck. Er leitete einige Jahre in Norwegen Fabriken, die aus Seetang und Fischabfällen Salpeter herstellten, allerdings zur Verwendung in der Produktion von Schießpulver.

    5. Man gab ihnen die schlechtesten Böden

Den Kolonisten fehlte aber nicht nur der mineralische Dünger. Den hatten die einheimischen Bauern damals auch nicht. Die Kolonisten erhielten die denkbar schlechtesten Böden.

Aufschlussreich ist die Anweisung vom 11. März 1761 an die Sandleute: "Die Colonisten sollen eigentlich solche Gründe haben, die morastig und tief sind, und die bisher entweder ganz wüste gelegen, oder die man unzulänglich, etwa zum überflüssigen Beweiden und Heidemähen genutzet, oder wo man den Torf bereits weggegraben hat". Unberührt seien zu lassen:

  1. "zum Torfstechen geeignetes Moor – ob gegraben oder nicht;
  2. Wiesen und Äcker, die schon in Nutzung (d.h. urbar) waren;
  3. Weideland, das jede Dorfschaft für ihr Vieh selbst gebraucht".

Der Mediziner Erichsen konnte es nicht besser wissen. Er versprach sich vom Moorboden wahre Wunderdinge. Und im ersten Jahr schienen die Ergebnisse ihm sogar recht zu geben. Die Moorvegetation wurde abgebrannt und die Asche wirkte tatsächlich als Dünger. In vielen Fällen führte das Abbrennen aber auch dazu, dass die einzige Futtergrundlage verbrannte. So heißt es vom Januar 1763, dass den meisten Kolonisten das Futter ausgegangen sei. Der Staat half mit "Magazinheu".

Nach dem ersten Jahr aber passierte zur Überraschung von Dr. Erichsen und seinen Kolonisten etwas, was die einheimischen Bauern längst wussten. Sie hatten reine Moorflächen niemals dauerhaft gepflügt, weil sie nur im ersten und vielleicht im zweiten Jahr einen brauchbaren Ertrag erreichten. Allenfalls zur Gewinnung von Grünland war es sinnvoll, in zwei Übergangsjahren zu pflügen. Die Moorböden, die sich dafür eigneten, hatten die einheimischen Bauern aber behalten dürfen und nutzten sie weiterhin als Wiesenland. Die Kolonisten erhielten nur das Schlechteste. Man kann es auf eine einfache Formel bringen: Die Moorböden, die man den Kolonisten gab, waren unter damaligen Verhältnissen fast zu nichts zu gebrauchen. Die reinen Moorkolonien waren deshalb zum Scheitern verurteilt.

    1. Moorboden hat viele Nachteile:
    2. Moorboden hat viele Nachteile:

      1. Benetzbarkeit geht verloren
      2. Haben Sie es bisher als Problem angesehen, dass Bodenpartikel ihre Benetzbarkeit verlieren können? Dies kann mit organischer Substanz geschehen, wenn sie nicht zu Humus abgebaut wird. So kommt es bei der Einarbeitung von Stroh in Ackererde zu der sogenannten Vermullung, wenn die Strohmenge zu groß ist. Man spricht auch davon, dass das Gemisch von Stroh und Erde puffig wird. Ähnliches passiert unter bestimmten Umständen mit Ackermoorflächen. Diese Flächen sind dann für eine weitere Ackernutzung nur noch sehr eingeschränkt verwendbar. Wir können bei uns dies auf Ackermoorflächen nicht studieren, weil es reine Ackermoorflächen bei uns nicht gibt. Aber auch auf Moorweiden kann man es sehen, wenn die weidenden Tiere bestimmte Teile dieser Fläche so stark zertreten haben, dass eine Vegetationsdecke nicht mehr besteht. Für die Kolonisten war dies ein ernstes Problem, das sich ihnen jedoch auf den Heideflächen nicht stellte.

      3. Moorerde oxydiert an der Luft
      4. Ein anderes schwieriges Problem stellt sich bei der Ackernutzung von Moor dadurch ein, dass Moorerde an der Luft oxydiert. Es verbrennt sozusagen ohne Flamme. In den gängigen Lehrbüchern geht man davon aus, dass dies zu einem Absinken der Oberfläche um 1,5 cm im Jahr führen kann. Hätten unsere Vorfahren auf den Kolonieflächen die damalige Ackernutzung bis heute fortgesetzt, hätte dies danach seit 1760 zu einer Absenkung der Oberfläche um 3,50 m geführt. Schon deshalb waren sie für eine langfristige Ackernutzung, ohne dies damals zu wissen, zum Scheitern verurteilt. Eine reine Gründlandnutzung war aber zu damaliger Zeit, anders als heute, nicht möglich. Damals galt das Prinzip der Selbstversorgung. Eine umfangreiche Marktproduktion von Milch und Rindfleisch, wie wir sie heute in reinen Grünlandgebieten haben, gab es nicht. Für eine Grünlandwirtschaft fehlte ihnen auch schlicht das Vieh.

      5. Moorerde hat eine verringerte Wärmeleitfähigkeit
      6. Die dunkle Moorerde hat eine verringerte Wärmeleitfähigkeit. Die Moorerde erwärmt sich im Frühjahr sehr langsam. Deshalb erfährt die ausgebrachte Saat eine späte Keimung. Der Getreideanbau ist also nur mit Getreidesorten von kurzer Reifedauer möglich. Als wir in den fünfziger Jahren Moorkultivierung betrieben, haben wir uns hierzu bestimmter brauner und schwarzer Hafersorten bedient. Ob den Kolonisten diese Sorten damals schon zur Verfügung
        standen, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass sie Hafer angebaut haben. Beim Kartoffelanbau ist dieses Problem weniger gravierend, da die Kartoffel eine vergleichsweise kurze Reifedauer hat. Insgesamt war aber die Palette der Fruchtfolgemöglichkeiten eingegrenzt. Unter der geringen Wärmeleitfähigkeit von Moorerde leiden die reinen Gründlandbetriebe mit hohen Mooranteilen noch heute, indem sie den ersten Silageschnitt sehr viel später als ihre Berufskollegen auf anderen Standorten einbringen können.

      7. Bodenleben und Belüftung
      8. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für gesundes Bodenleben ist eine gute Belüftung. Auf den Sandböden der ehemaligen Heidelandschaften erwuchs hieraus kein Problem. Die Belüftung der Moorerde ist jedoch in der Regel schlecht. Wir haben in den 50er und 60er Jahren gegen dieses Problem immer wieder mit Drainagen angekämpft, mit Faschinendränagen, mit sogenannten Maulwurfsdränagen (maschinell eingebaute Hohlräume ohne Umwandung) und schließlich auch mit modernen Dränageschläuchen. Von den Kolonisten wissen wir, dass sie selbst bei der Anlage von sogenannten Grüppen (das sind kleine Gräben), die am ehesten dem damaligen technischen Stand entsprachen, zurückhaltend waren, weil sie den Flächenverbrauch fürchteten.

      9. Mangelnde Befahr- und Begehbarkeit
      10. Ein besonderes Problem bei der Nutzung von Moorflächen erwächst immer wieder aus der mangelnden Befahr- und Begehbarkeit. Dies macht sich nicht nur auf den Nutzflächen selbst, sondern auch durch die ständige Reparaturbedürftigkeit der Zuwegungen bemerkbar. An einigen Stellen gab es auch das Problem, dass die Wirtschaftswege der Kolonisten als kürzere Verbindungen von anderen entdeckt wurden. Die heutige B 202 zwischen Oha und Friedrichsholm ist ein solcher Fall. Dabei entstand für die Kolonisten die unerfreuliche Situation, dass sie mit ihren Arbeiten nicht nur Verbindungswege zu ihren Feldern schufen, sondern auch ungewollt eine neue Durchgangsstraße.  

      11. Bodenzone zu flach
      12. Die Bodenzone landwirtschaftlicher Nutzflächen ist um so leistungsfähiger, je dicker sie ist. Hier hat es in den letzten 30 Jahren bei unserer Ackernutzung erhebliche Fortschritte gegeben, weil die mineralische Düngung die erforderliche stärkere Nährstoffversorgung der dickeren Ackerzonen ermöglichte. Für die Kolonisten, insbesondere auf den Moorflächen, aber auch auf den Sandflächen war es außerordentlich schwer, eine hinreichend dicke Bodenzone herzustellen.

      13. PH-Wert
      14. Die Nutzbarkeit von landwirtschaftlichen Bodenflächen hängt auch sehr stark davon ab, ob ein optimaler pH-Wert vorliegt. Eine Übersäuerung schränkt die Nutzbarkeit stets erheblich ein. Die Kolonisten hatten kaum die Möglichkeit, den pH-Wert richtig einzuregulieren. Dies geschieht heute insbesondere durch eine ausgiebige Kalkdüngung, aber auch durch die Düngung mit bestimmten Phosphatdüngern. Nebenbei erwähnt: Die heutige Kalkdüngung auf Moorflächen erhöht den oben erwähnten Oxidationseffekt.

        Wenn man also die Kalkkdüngung übertreibt, trägt man aktiv zu einer Absenkung des Oberflächenniveaus bei. Für unsere Kolonistenvorfahren, denen die Kalkdüngung ohnehin nicht zur Verfügung stand, war es kein Trost, dass sie dadurch dem Übel der verstärkten Oberflächenabsenkung entgingen. Sie kannten dieses Übel nämlich noch nicht. Wenn sie es gekannt hätten, wären sie das Wagnis der Kultivierung von Moorflächen unter damaligen Verhältnissen sicherlich überhaupt nicht eingegangen. Vorstehend habe ich sieben besonders wichtige Punkte aufgeführt, die Moornutzung erschwerten. Dieser Katalog ist nicht erschöpfend, er reicht aber zu der Schlussfolgerung aus, dass die Kolonisten, sofern sie auf reine Moorflächen angewiesen waren, langfristig überhaupt keine Chance hatten.

        So wurde die reine Moorkolonie Friedrichsgraben auch ein völliger Fehlschlag. Auf der Moorkolonie Königsberge ging es nicht viel besser. Unter meinen Vorfahren sind drei Familien, die zunächst in Friedrichsgraben bzw. Königsberge angesetzt waren; davon zog eine von Friedrichsgraben nach Friedrichsholm. Die beiden anderen zogen von Königsberge nach Christiansholm bzw. Friedrichsanbau.

      15. Mischkultur?

      Nun werden Sie sicherlich die Frage stellen: Warum haben die Kolonisten damals Moorerde und Heidesand nicht miteinander gemischt? Dieses Verfahren, dessen erfolgreiche Anwendung ich in den sechziger Jahren im Emsland begutachten konnte, war den Kolonisten nicht oder kaum zugänglich. Wenn die Moorabdeckung sehr flach ist, ist es
      wie im Emsland möglich, mit großen Pflügen den Sand nach oben zu holen und ein vergleichsweise fruchtbares Gemisch herzustellen. Die Kolonisten im vorletzten Jahrhundert hatten aber solche Pflüge nicht, und flache Moorabdeckungen wie im Emsland waren und sind in unserer Heimat sehr selten. Die Moore in der Hohner Harde jedenfalls sind größtenteils außerordentlich tief. Versuch dieser Art gab es in Friedrichsholm. Dort hatte Dr. Erichsen selbst einen Hof. Er fuhr Sand ins Moor, um den Boden zu verbessern. Viel gebracht hat es nicht.

      Umgekehrt kann man Sandböden auch dadurch verbessern, dass man sie mit Moor anreichert. Um Ihnen die Vorteilhaftigkeit derartiger Gemische näher bringen zu können, muss ich ein wenig weiter ausholen. Die Heidesandböden bestehen, wie die Bezeichnung schon verrät, überwiegend aus Sand. Das heißt, dass der Boden sehr arm an feinen Bestandteilen ist.
      Man klassifiziert in Deutschland die einzelnen Bodenpartikel in neun verschiedene Größenklassen.

    3. Ein bodenkundlicher Exkurs
      1. Der Nachteil grober Bodenpartikel bei Sandböden
      2. Die mineralischen Bodenpartikel teilt der Bodenkundler wie folgt ein: Feinton, Mittelton, Grobton, Feinschluff, Mittelschluff, Grobschluff, Feinsand, Mittelsand und Grobsand. Dabei liegt die Grenze zwischen Mittelsand und Grobsand bei 0,63 mm, die Grenze zwischen Mittelton und Grobton bei 0,00063 mm. Die gesamte Spannweite geht von 2,0 mm bis 0,0001 mm, also haben wir es hier mit dem Faktor 20000 zu tun. Ein Stein mit 1 cm Kantenlänge hat bekanntlich eine Oberfläche von 6 cm 2 . Ein gleich großer Quader aus 1mm starkem Sand hat eine innere Oberfläche von 60 cm 2, einer aus feinstem Ton hat eine innere Oberfläche von 60 m 2 . Die wichtigsten Funktionen des Bodens, das Haltevermögen für Wasser und Nährstoffe hängt von der Oberfläche ab.

        Sandböden bestehen zu sehr geringen Anteilen (ein Prozent bis drei Prozent) aus Grobton; sie enthalten Feinton und Mittelton fast gar nicht. Möglichkeiten zur Erhöhung des Tonanteils bei Sandböden gibt es praktisch nicht. Gebraucht werden die feinen Partikel aber, da sie für das Nährstoffhaltevermögen und für das Wasserhaltevermögen der Böden bedeutsam sind. Reine Sandböden können Wasser- und Pflanzennährstoffe nur sehr kurze Zeit festhalten. Ein erfolgreicher Ackerbau ist auf diesen Flächen also nur dann möglich, wenn permanent Nährstoffe und Wasser zugefügt werden. So kann man selbst auf extremen Sandböden mit künstlicher Beregnung heute Kartoffeln anbauen. Die Kolonisten aber hatten keine künstliche Beregnung, sie hatten keine mineralischen Düngemittel und nur wenig organischen Dünger, weil ihre Viehbestände sehr ärmlich waren.

      3. Mit Humus kann man einiges ausbügeln, aber...?

      Aber nun zurück zur Vorteilhaftigkeit von Sand-Moor-Gemischen. Es gibt außer den Tonmineralen noch andere Substanzen, die in der Lage sind, Wasser- und Pflanzennährstoffe festzuhalten, die sogenannten Huminstoffe. Humus, jeder kennt dieses Wort und die wenigsten wissen genau, was sich dahinter verbirgt, besteht aus Huminstoffen und aus Streuresten. Huminstoffe entstehen beim mikrobiellen Anbau von organischer Substanz. Es ist hier nicht der Raum, die Vielgestaltigkeit der Huminstoffe näher zu beschreiben. Sie variieren auch sehr stark in ihrer Färbung, und man kann vereinfacht sagen, dass die Huminstoffe es sind, die der Ackererde ihre Farbe geben.

      Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten, den Humusanteil zu vergrößern: Man kann die organische Düngung erhöhen bzw. Moorerde zufügen. Man kann durch den Anbau von Zwischenfrüchten die organische Substanz vermehren. Man kann dies schließlich durch intensiven Anbau unter Verwendung aller ertragsteigernden Mittel erreichen. In der heutigen Landwirtschaft gilt deshalb auch der Grundsatz: Die beste Vorfrucht ist eine gute Ernte. Die Kolonisten hatten nur wenig organische Düngemittel. Der Anbau von Zwischenfrüchten spielte keine große Rolle, was wir aus den Listen über die Saatgutlieferungen ersehen können. Der intensive Anbau heutiger Prägung war mangels Pflanzenschutz und Mineraldünger nicht möglich.

      Wir hörten es schon, etwas besser als im Moor ging es auf den Heideflächen. Aber auch dort hatte man den Kolonisten das Schlechteste gegeben. Die einzige Möglichkeit, eine gewisse Humuswirtschaft aufzuziehen, bestand in der Herstellung eines geschlossenen Kreislaufs, mit dem wenigstens die vorhandene Bodenfruchtbarkeit erhalten blieb. Voraussetzung hierfür waren große Flächen und wenig Verkaufsprodukte. Man brauchte möglichst viel Vieh. Man brauchte darüber hinaus umfangreiches theoretisches Wissen, was die Kolonisten in den Jahren 1760 bis 1765 nicht hatten und nicht haben konnten. Für die Hohner Harde gab es damals den Bericht des Hardesvogtes Ludwig August Sidon. Diesem Bericht können wir ebenso wie der bereits oben zitierten Anweisung an die Sandleute entnehmen, dass den Kolonisten damals die schlechtesten Flächen gegeben wurden. Alle Flächen hatten damals ihre Eigentümer, und das was den Kolonisten gegeben werden sollte, musste anderen weggenommen werden. Dies geschah gegen Entschädigung. Man darf nämlich nicht die Vorstellung haben, dass die den Kolonisten übergebenen Flächen völlig ungenutzt waren. Die Moorflächen wurden häufig von den ansässigen Bauern als Torfstichflächen genutzt.

    4. Raubbau der Einheimischen?
    5. Auf den Heideflächen gab es extensive Weide und die Gewinnung von Einstreu. Dabei hatte die Gewinnung von Einstreu eine sehr wichtige Funktion im damaligen ökologisch - ökonomischen Gefüge. Die landwirtschaftlichen Betriebe früherer Jahrhunderte waren sehr weitgehend Eigenversorger, so dass die Pflanzennährstoffe sich zu einem großen Teil im geschlossenen Kreislauf befanden. Während heute der größte Teil der landwirtschaftlichen Produktionen in die Städte verkauft wird, wobei die darin enthaltenen Pflanzennährstoffe den städtischen Kläranlagen und nicht den landwirtschaftlichen Nutzflächen zugeführt werden, gelangten damals die allermeisten Pflanzennährstoffe wieder zurück auf die Felder, ob nun über die Fäkalien der Haustiere oder auch der auf den landwirtschaftlichen Betrieben lebenden Menschen. Die Verlagerung von Pflanzenährstoffen nach außerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe war damals gering, und die dadurch entstehenden Defizite wurden unter anderem durch die Gewinnung von Einstreu gedeckt. Diese Einstreugewinnungsflächen, also die Heideflächen und andere Extensivflächen, wurden dadurch in ihrem Nährstoffgehalt zwar ständig weiter verarmt, konnten die entstehenden Defizite aber mitdecken. Es ist bisher bei allen Betrachtungen zu den Kolonisierungsverfahren übersehen worden, dass dieser damals so wichtige ökologische Regelvorgang durchbrochen wurde. Für die Kolonisten aber war es ein großes Problem, dass sie größtenteils solche Flächen erhielten, auf denen die Einheimischen vorher Raubbau betrieben hatten.

    6. Das Unternehmen scheiterte
    7. So ging Anfang Januar 1763 den meisten Kolonisten das Viehfutter aus. Bedenkt man, dass die Vegetation erst Anfang Mai wieder begann, kann man ermessen, wie furchtbar dies war. In den Berichten von 1763 klingt es dann auch allgemein sehr viel pessimistischer. Die
      10. und 11. Kolonie, das sind Friedrichsgraben und Königsberge, werden als die schlechtesten bezeichnet. Es gibt schwere Kritik an der Führung des ganzen Unternehmens, insbesondere an Dr. Erichsen. Aus heutiger Sicht wird man die Leistungen Erichsens milder
      bewerten müssen. Wie oben schon dargelegt, konnte er nach dem damaligen allgemeinen Wissensstand nicht genug wissen, um die Sache erfolgreich vorantreiben zu können.

      Für eine Konsolidierung der Kolonien wäre es notwendig gewesen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Gewinnung von tierischem Dünger, die Tierbestände zu erhöhen. Wie die Viehbestandslisten ausweisen, gingen die Bestände aber in fast allen Kolonien der
      zurück. Besonders drastisch war der Rückgang der Viehbestände in den beiden Moorkolonien. Für Friedrichsgraben werden im Jahre 1766 Pferde, Kühe und Schafe überhaupt nicht mehr geführt. Es werden dort nur noch 6 Familien gegenüber 14 im Jahr 1765 aufgeführt. Wovon sie gelebt haben, ist nicht ersichtlich. Die Erträge vom Acker reduzierten sich drastisch. In Friedrichsholm fielen die Roggenerträge von 1766 bis 1774 auf ein
      Viertel und die Gersten- und Hafererträge noch weit stärker. Eine gewisse Stabilität wiesen die Kartoffelerträge auf. Ähnlich verlief es in Christiansholm. Als den Kolonisten die Tagegelder, die sie bis 1765 erhalten hatten, gestrichen wurden, war, wie Otto Clausen es formuliert hat, "das Werk am Rande des Chaos".

      Bevor die Kolonisten auf den Moorflächen angesiedelt wurden, wurde dort durch die Anlage eines Grabensystems für eine gewisse Vorentwässerung gesorgt. Dies führte zu einem teilweisen Absterben der Torfmoosschicht. Im nächsten Schritt wurden die Flächen abgebrannt. Dies führte einerseits dazu, dass die Flächen für eine landwirtschaftliche Nutzung "schier" waren und andererseits über die Pflanzenasche zu einer gewissen Anfangsdüngung. Die Kolonisten bauten in erster Linie Hafer, Buchweizen, Sommerroggen, Gerste und Kartoffeln an. Daneben aber weisen die Saatgutlisten eine große Zahl weiterer Pflanzenarten aus. Es fällt auf, dass darunter wenige Leguminosen sind. Die düngende Wirkung der Leguminosen hat man damals noch nicht hinreichend gekannt. Alte Bauern wussten aber aus Erfahrung bereits die Vorzüge zum Beispiel des Kleeanbaus zu schätzen. Schon 1735 hatte der Bürgermeister Mildenstein auf Fehmarn mit dem Anbau von Klee begonnen, erstmals in Schleswig-Holstein. Den theoretischen Hintergrund dieser Vorzüge kannten sie nicht.

    8. Vom Schneider bis zum Theologiestudenten
    9. Wie sah es mit landwirtschaftlicher Erfahrung und Vorbildung bei den Kolonisten aus? Nur 6% der ersten 356 in Gottorf examinierten waren in ihrer Heimat selbständige Bauern gewesen. 55% waren Tagelöhner. Unter den restlichen 39% finden wir alle Berufe, vom Schneider über Tischler und Soldaten bis hin zum Theologiestudenten. Dr. Erichsen erwartete von ihnen, dass sie Musterbetriebe aufbauen sollten. Es hieß damals, in Süddeutschland sei die Landwirtschaft fortschrittlicher als im Norden. Die Voraussetzungen für die Einrichtung von Musterbetrieben aber brachten die meisten Kolonisten nicht mit.

    10. Nur auf Ackerbau gesetzt, zu wenig Vieh
      1. Zwei Ochsen, eine Kuh und zwei Schafe
      2. Die Ausstattung mit Vieh lässt erkennen, dass man für die Existenzsicherung praktisch allein auf den Ackerbau setzte, was bei der geringen Flächenausstattung auch grundsätzlich richtig war. Zunächst wurden in der Planung die Ochsen den Pferden vorgezogen, weil sie angeblich besseren Mist machen. Vielleicht war dieses Argument auch vorgeschoben, denn Pferde waren doppelt so teuer wie Ochsen. Dann sollte jeder ein oder zwei Pferde erhalten, am Ende war es meist dann doch nur ein Ochse. Dazu gab es eine Kuh und zwei Schafe, aber keine Schweine. Bei einer Ochsenverlosung gab es eine Massenschlägerei, so wichtig und kritisch war die Ausstattung mit Vieh.

      3. Keine Schweine

      Die Kolonisten hatten keine Schweine. Um das zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, wir damals Schweine gehalten wurden. Mit Essenresten und für Schweine geringwertigen Beilagen wie Gras und Unkraut vom Wegesrand wurden die Schweine über das Jahr "gehungert", in der Fachsprache nennt man es "geläufert"; sie wuchsen zwar, wurden aber nicht schwerer. Im Herbst kamen sie dann in die Wälder zur Mast mit Eicheln, Bucheckern etc.. Die Kolonisten aber hatten keine Wälder und Essenreste werden bei ihnen auch knapp gewesen sein. Wer immer Hunger hat, isst auch alles auf. Bares Geld aus der Viehhaltung zu machen, war damit von vornherein ausgeschlossen.

    11. Am Ende ging es dann irgendwie doch
      1. Nebenerwerb war ihnen verboten
      2. Nebenerwerb war ihnen zunächst verboten. So gab es ein ausdrückliches Verbot des Torfstichs mit dem Ziel, Torf zu verkaufen.. "Kolonisten dürfen sich nur mit der Kultivierung des Landes beschäftigen, nur den Frauen ist als Nebenbeschäftigung etwas Weberei gestattet". Dies entsprach überhaupt nicht der Mentalität der Süddeutschen. In ihrer Heimat waren sie immer wieder auf alle möglichen Nebenerwerbe ausgewichen, bis hin zur Salpetersiederei und Bürstenbinderei. Die Kolonisten hatten in großer Not begonnen. Die Not wurde immer größer, nur wenige hielten durch und blieben im Lande und erst 100 Jahre später nach Einführung der Düngung mit Mineraldünger und anderer moderner Methoden der Landbewirtschaftung wurde das Leben in den Kolonien erträglicher.

      3. Die Kartoffel machte es möglich
      4. Nun werden Sie mich fragen: Wieso haben sie dann überhaupt überleben können. Meine Antwort ist: Die Kartoffel machte es möglich. Die Kartoffel brachte bei knapper Fläche und geringen Düngungsmöglichkeiten von allen Ackerfrüchten den höchsten Ertrag. Schon 100 Jahre vorher hatte man woanders Probleme mit der Kartoffel gelöst, nämlich in Irland. Die Bevölkerung war in dem vom 30jährigen Krieg nicht betroffenen Land schon damals so stark gewachsen, dass den einzelnen Familien nur wenig Fläche zur Verfügung stand. So begann dort für Europa der Anbau der Kartoffel als Nahrungsmittel und ermöglichte ein erhebliches Bevölkerungswachstum. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich in demselben Land auch eine der größten Hungersnöte der europäischen Geschichte zugetragen hat; und der Grund war, dass eben die Kartoffel auf Grund der Kraut- und Knollenfäule der Jahre 1846 bis 1849 versagte. Die Folge mehrerer Kartoffel-Mißernten durch den Pilz Phytophtora infestans, der in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren die gesamte Kartoffelernte vernichtete, war die damalige gewaltige Auswanderungswelle aus Irland nach Amerika.

        Wir haben gesehen, dass der dänische König seine Werber dort ihre Aktivitäten entfalten ließ, wo der Verzehr der Kartoffel bereits üblich war. Hessische Söldner, die in der Geschichte immer dort zu finden sind, wo an der Vergrößerung des britischen Weltreichs gearbeitet wurde, hatten sie in Irland als Truppenverpflegung kennen gelernt und mit in ihre Heimat gebracht. Die Kartoffel war auch bei der Kolonisierung der Schleswigschen Geest eine Art Geheimwaffe. Ohne die Kartoffel jedenfalls wären die Kolonisten schlicht verhungert. So schön wie die Geschichten um Friedrich den Großen und um die Einführung der Kartoffel sind; den Anbau in Deutschland hat nicht er eingeführt, allenfalls in Teilen Preußens. In Hessen gab es die Kartoffel schon lange vor dem Alten Fritz.

        Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch der Buchweizen einen beachtlichen Beitrag zur Sicherung der Ernährung leistete. Auf die oben referierten Ertragszahlen sei noch einmal hingewiesen.

      5. Und die Öffnung anderer Erwerbsmöglichkeiten...

Und ganz zum Schluss ein weiterer günstiger Aspekt. Das Verbot des Torfstichs zum Torfverkauf wurde gelockert. Und so entstand eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle. Auf einem Bild vom Südermarkt in Flensburg aus dem frühen 19. Jahrhundert können wir sehen, wie groß die wirtschaftliche Bedeutung des Brennstoffs Torf in früheren Zeiten gewesen sein muss. Verkauft wird von den Wagen und mehr als die Hälfte aller Wagen ist mit Torf beladen. So kann man schnell ahnen, welche Einkommensmöglichkeiten auch der Torftransport bot. Er geschah nicht nur mit Wagen. Die größten Mengen wurden mit Schiffen transportiert. Es gab Schifferfamilien, die hauptsächlich vom Torftransport lebten. In Christiansholm und Friedrichsholm waren es z.B. 1857 jeweils fünf Familien.

Die Torfwirtschaft führte sogar zu industriellen Anlagen im Moor. Um die Heizkraft des Torfes in stärkstem Maße an Ort und Stelle auszuwerten, entstanden verschiedene Glasfabriken. Die Glashütte in Friedrichsholm z.B. bestand von 1842 bis 1893. Zu den Hauptprodukten gehörten Demijohns, große Korbflaschen. So bot die Herstellung des dafür erforderlichen Flechtwerks aus Weidenholz für viele Familien eine Möglichkeit des Zuverdienstes in Heimarbeit. Hinzu kam die Öffnung des Handwerks für diejenigen unter den Kolonisten, die eigentlich Handwerker waren und als Bauern nicht zurecht kamen.

  1. Auch das Knicknetz geht auf die Kolonisierung zurück
    1. Die Knicklandschaft nahm bei der Kolonisierung ihren Anfang
    2. Die heute noch sichtbaren Spuren des Kolonisierungswerkes sind vielfältig. Kaum jemand bedenkt beispielsweise, dass das größte Kleinod der schleswig-holsteinischen Landschaft mit den Kolonisten ihren Anfang nahm – so lesen wir es bei Bracker - , nämlich das Knicknetz. Hierzu Bracker wörtlich:

      "Zur Sicherung des mit eigenen Kräften – der Kolonistengenerationen – bereiteten Kulturbodens mussten die neuen Siedler etwas lernen, was sie von daheim nicht kannten: zur Herrichtung der Felder wurden an den Grenzen Erdwälle aufgeworfen /wobei gleichzeitig Abzugsgräben entstanden), die später mit geeigneten Sträuchern zu bepflanzen waren. Das Ergebnis war der Knick. Dies wurde dann bei der "Verkoppelung" von allen Bauern in unserem Lande verlangt. Man kann sagen, dass auf diese Weise die Entwicklung einer schönen "Knicklandschaft" ihren Anfang nahm, deren Erhaltung in jüngster Zeit gesetzlich geregelt ist. Der Knick lieferte bei gekonnter Nutzung alle 8-11 Jahre Busch- und Klobenholz als Feuerung für die bäuerliche Familie; der Knickbewuchs regenerierte sich ständig, man lernte besonders geeignete Knickholzarten kennen. Das Problem der Systematisch gewonnenen, "nachwachsenden Energien" war also – bei der langfristig fast stabil bleibenden Siedlungsdichte von weniger als 40 Einwohner je Quadratkilometer – schon vor 200 Jahren gelöst! Im Durchschnitt wurden etwa 50-60 m Knick je Hektar hergestellt und erhalten."

      Hierzu muss man sehen, dass sich die Verkoppelung Schleswig-Holsteins zeitlich unmittelbar an das Kolonisierungswerk anschloss. 1766 erfolgte eine Verordnung für das Herzogtum Schleswig, 1767 begann die Verkoppelung im herzoglichen, 1770 im königlichen Anteil Holsteins. Erst mit der Verkoppelung wurden auch die noch heute weite Teile des Landes prägenden Knicks im großen Stil angelegt. Es ist durchaus möglich, dass man sich zu der großen Lösung der Errichtung der Knicks deswegen leichter entschloss, weil man beim Kolonisierungswerk die Erfahrungen gesammelt hatte. Denn es gibt bis heute keine plausible Erklärung, warum man in Schleswig-Holstein flächendeckend Knicks einrichtete, in den unmittelbar benachbarten Ländern aber nicht, obgleich dort ebenso verkoppelt wurde; in Niedersachsen nicht, aber auch nicht in Jütland, das sogar zu demselben Staat gehörte wie Schleswig-Holstein.

    3. Besonderheit: Der Teebuschknick

Auf der schleswigschen Geest entstand bei der Errichtung der Knicks sogar eine noch auffälligere Besonderheit, der sogenannte Teebusch-Knick . Auf besonders armen und ausgelaugten Böden gestaltete sich die Bepflanzung der Wälle schwierig; normale Gehölze wuchsen nicht an. Man verwendete eine bis dahin bei uns unbekannte Pflanze eine weidenblättrige Spierstaude (Spirea Salicifolia). Dieser Busch kann sich mit einem dichten Netz von Wurzeltrieben oder Ausläufern ausbreiten und dabei die Konkurrenz anderer Arten ausschalten. Der Strauch wird nicht höher als 1 m und braucht keine Pflege. Die Nutzung ist kärglicher als bei dem üblichen Knickbewuchs, aber die Besenbinder werden sich gereut haben.